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Meine erste Vorlesung


Es war Montag: Meine erste Vorlesung! Ein Freund brachte mich mit in einen Kurs, den wir zusammen halten sollten. Ich fühlte mich wie ein Azubi oder ein Lehrling, war ich es doch nicht gewohnt vor anderen Menschen frei zu sprechen.
Der Saal füllte sich. Nach und nach kamen die ersten Studenten und setzten sich auf die Bänke. So viele Erinnerungen kamen in mir hoch. Ich versetzte mich in meine eigene Studienzeit zurück. Niemand setzt sich nach ganz vorne zum Professor, das macht man nicht. Die Studenten von heute taten es auch nicht. Merkwürdigerweise konnte man die hinteren Reihen vom Pult am besten beobachten. Und da: Jemand hatte mein Skript ausgedruckt! Mein erstes Skript in den Händen von Studenten. Ein tolles Gefühl.
Die Vorlesung begann, ich redete am Anfang zu leise, dann zu schnell. Aber es pendelte sich schon wieder ein. Die ersten Fragen kamen, ich gab meine ersten Antworten. Auf einmal war die Nervosität weg, ich konnte etwas vermitteln, mein Wissen weitergeben. Ein gutes Gefühl.
Und das Beste daran? Ich lernte von den Studenten! Durch ihre Fragen verstand ich, wie sie dachten, was sie bewegte. Ich verglich Platons Höhlengleichnis mit den Sendungen auf RTL 2. Menschen liegen gefesselt in einer Höhle und sehen nur Schatten von künstlichen Gegenständen, die von einem Feuer beleuchtet werden und denken, dass dies alle Realität wäre. Ein Mann erhebt sich und geht nach draußen und sieht zum ersten Mal die Sonne. Er ist geblendet und zugleich versteht er, dass da noch viel mehr ist als nur leere Abbilder. Leben wir heute nicht vielmehr in einer Höhle und sehen nur Schatten, die Abbilder von Abbildern sind? Ist das Höhlengleichnis nicht viel realer und näher als jemals zuvor? Sind die "wahren Geschichten" im Privatfernsehen wirklich passiert oder basieren diese doch auch nur auf Abbildern von Abbildern, nämlich Menschen die keine echten Schauspieler sind, in Umgebungen und Geschichten, die nie geschehen sind.
Eine Diskussion begann. Ich erklärte den kategorischen Imperativ, wir redeten über Objektivismus und philosophische Konstruktionen und ich verstand eines: Philosophie ist nicht nur die unterschätzteste Geisteswissenschaft, die wir haben, sie ist auch die, welche am dringendsten gebraucht wird.